imagomat
     
 
Tekkno

Eine Welle geht durch den Raum, sie läßt die Gegenstände auf den Tischen erbeben. Die Sachen bewegen sich wie von selbst. Auch in den Betonboden gräbt sich die Vibration ein, unwiderstehlich, alle Widerstände übersteigend. Die Menschen im Raum erstarren nicht, sie zucken, mimen, schweben, der Körper trägt die akustischen Angriffe aus (er ist mehr als das untersuchte Objekt eines unsichtbaren Röntgenblicks, und er ist weniger). Das Denken zersetzt sich. Das Denken in stabilen Bildern war nur eine übergangsphase, was jetzt zersetzt wird, sind die Reste. Überall scheinen die Reste im Raum herumzuwirbeln. Um keinen Splitter zwischen die Schulterblätter zu bekommen (ein Splitter, der sich als Mensch entpuppen könnte), muß das Tempo forciert werden. Und vor allem dürfen die Splitter, die herumfliegenden Materiefetzen, sich nicht im Kopf festsetzen. Das Tempo und die Lautstärke heizen sich gegenseitig an. Um so schneller es wird, um so mehr verlieren die eben noch unerträglich lauten Einzeltöne an Intensität: die Lücken strecken sich in der Geschwindigkeit, es muß mehr Material verfeuert werden. Je mehr Material verbraucht wird, um so zähflüssiger wird der Transport des Ganzen: das Material verdickt sich in Einzelmomenten, die Geschwindigkeit muß erhöht werden. Das Oszillieren (das Blinken, das Flackern) hat eine Intensität erreicht, die keine Trennung mehr zwischen der ersten Phase (der materiellen Anreicherung nach der Beschleunigung) und der zweiten Phase (der Beschleunigung nach der materiellen Anreicherung) erlaubt. Das Koordinationssystem überhöht sich selbst, polygonal die Grenzen verändernd. Eine gigantische masturbatorische Maschinerie. Es wabert und quieckt, es zuckt und springt herum. Aus der Stirn wächst eine Beule, weil ein geschossartig den Raum durchquerender Splitter auf Widerstand stieß, man kann nichts mehr erkennen, der Raum bildet sich zu einer umfassenden süßlich-riechenden Nebelschwade um, die Beine werden schwer und versacken im aufgeweichten Beton des Bodens. Dann eine plötzliche Stille, in der man heißen Atem am Ohr spürt - Tempowechsel. Die synthetischen Töne rutschen eine imaginäre Tonleiter hinab, ein Luftzug durchquert den Raum, die völlig durchnäßten Acrylpullover, die T-Shirts und Jeanshosen flattern im Wind, die Körper flattern im Wind (Kleidung und Körper ist eins), und vor den Augen beginnen sich blaue und rote Spiralnebel zu drehen. Laserblitze durchschneiden die Menge. Wo ist oben? Wo ist unten? Eine durch Megaphon verzerrte und verstärkte Stimme meldet sich: "What you want...what you want..." Eine Frauenstimme antwortet. "Give it up...give it up..." Die Wiederholungen variieren endlos. Es ist nicht festzustellen, welches Motiv später wiederholt wird. Die Wiederholung wiederholt sich selbst (als unterschiedene). Die Platten aus dem Stapel gehen bruchlos ineinander über (nach Gebrauch werden sie nach hinten geworfen), nicht um eins zu werden, sondern damit sich die Singularitäten vervielfachen. Von der einen Seite werden nur Geräuschpartikel in den Mixer genommen, die andere hält eine bestimmte Frequenz von Schlägen, darüber Möwengeschrei und Düsenjägermotoren. Pseudopodien schießen aus dem Protoplasma hervor. Wasser tropft von den Stalaktiten. τὰ δὲ πάντα οἰαχίζει Κεϱαυνόϛ. Durch den Weltraum zischt eine einsame Rakete, deren Funkbotschaften direkt über Lautsprecher gehen. öfter treten Stockungen auf, wenn sich alle Elemente im Keller der Frequenzskala versammeln. Einige Lautsprechermembranen können dabei reißen, wenn ihre Haut dem Andrang nicht standhält. Der Herzmuskel würde auch zerreißen, wenn auf einmal die gesamte Blutmenge des Körpers in ihn hineingehen sollte. Ein Teil des Brummtons (die Kammern flimmern) liegt knapp über dem gerade noch hörbaren Bereich, der andere graviert seine Botschaft in Stahl und Beton.
An den Wänden hängen keine Bilder, denn hier benötigen die Augen keine Vorlage, um sich zu entwickeln. Die Weiße- Wand-Schwarzes-Loch-Maschine (Deleuze/Guattari) arbeitet auf Hochtouren und spuckt immer neue Gesichter aus. Die Augen werfen Tentakeln aus, an deren Ende sich neue Augen bilden. Die Fortsätze sind behaart (keine Wimpernhaare). An allen Querverstrebungen drehen sich Augen; die Höhlen sind leer. Der ganze Raum beginnt heftig zu atmen. Ein unverdaulicher Brocken wurde verschluckt und boxt gegen die Magenwände. Ein schuppiger Drachen tritt hinzu und gibt einen Feuerstrahl ab. Die Feuersäule durchquert den Raum. Der Tanz der Menge wird in Phasenbilder umgesetzt, die die Zeit verlangsamen; aber unterhalb der Wahrnehmungsebene existiert die wirkliche Zeit. Eine Stimme schreit: "Feel it!" Von weither schwebt eine Wolke heran. Der ganze Raum ist von der kreisenden Sphärenmusik erfüllt, die herangetragen wurde. Auf der Wolke sitzt ein Engel, der mit sanfter Stimme ein Wort wiederholt (es wurde schon ausgesprochen, bevor es vernommen wird). Energy. E-E-Energy. En-en-Energy. E-E-Energy. Die Bedeutung des Wortes zerbirst in kleine Silbersterne. Die Worte atomisieren sich, die Personen verlieren ihren Kern. Es sind mehr Gesichter als Personen da. Es sind mehr Wörter als Silbersterne im Raum. Ein Mund stöhnt, eine Hand hämmert an die Tür, eine Katze schärft ihre Krallen an einem Baumstumpf. Von der Seite kommen Trockeneisnebel durch ein Rohr geschossen, die Welt ist ein Nebelmeer, das mit sich Krieg führt und Blitze als Waffen benutzt.
Die Bewegung orientiert sich nur noch an den labyrinthischen Windungen des Innenohrs. Die Gänge des Ohrs ziehen sich durch den ganzen Körper bis zu den Zehenspitzen. Die Beine hängen in der Luft. Friedrich Nietzsche ist hier der fröhlichste Mensch auf der Welt: "Jetzt bin ich leicht, jetzt fliege ich, jetzt sehe ich mich unter mir, jetzt tanzt ein Gott durch mich." Die olympischen Götter lachen sich tot, und die Philosophie setzt ihr göttliches Lachen fort. Jeder Wandmaler wird zum Philosophen, die Auftragsbücher füllen sich mit apokryphen Abhandlungen, keine Fläche bleibt weiß. Alles gerät in Bewegung. Die Bewegungen beschreiben Zeichen, Gesten, unverständliche Ausdrücke. Kabbalistische Kringel stehen am Fuß der Linien und verschweißen sie mit der Ebene. Feuerlinien durchteilen die Flächen. öberall bilden sich Augenpaare, einige bösartig zusammengestellt, andere auf Ohrenabstand auseinandergezogen (als könnte mit den Ohren klarer gesehen werden). Ein Piano weigert sich, mehr als zwei abgehackte Akkorde von sich zu geben. Eine Maschine wird angeworfen, die sich die verweigerten Klänge erkämpft, indem sie sich durch das Gehäuse des Klaviers frißt. Dabei fallen dermaßen viele Töne ab, daß die Geschwindigkeit des Ganzen noch einmal erheblich angezogen werden muß. Ein Hebel wird umgelegt. Schüsse preschen durch den Lärm, während ein verrückter Professor die zurückgelassene Tonbandmaschine auf bakteriologischen Befall untersucht. Der Professor dreht sich um und sagt mit näselnder Stimme: "Meint ihr nicht..." Seine Stimme wurde sofort durch das Tonband aufgenommen, und bevor er noch zuende sprechen kann, wiederholt die Schleife seine Eingangsworte rückwärts. Die Figur des Professors pulversisiert und wird von einem sanften Windzug erfaßt.
In der Mitte dreht sich eine Kugel, deren Kern leuchtet. Wenn man seine Hand an die Glaskugel legt, richten sich die grünen Blitze danach aus. Ein merkwürdiges Gefühl (obwohl man nichts spürt). Irgendwo muß hier auch der feurige Kiesel versteckt sein, den Georges Bataille erwartete. Eine Platte hat einen Sprung. Die Musik hüpft von einem Bein aufs andere, ohne sich fortzubewegen. Ein Regler wird gezogen, die Platte fliegt im hohen Bogen nach hinten, und eine Vocoderstimme dringt durch den Lüftungsschacht in das Gebäude ein. Die Stimme ist ein auch ohne Augen oder Ohren vollständig lebensfähiges Organ; die Vibrationen bestimmen unmittelbar die Form des Organs. Das sieht dermaßen furchterregend aus, daß ein Mund sich öffnet und ein Schrei aus der anderen Kurve zu hören ist. Der Schrei ist ohne Ende.
Hinter den Gitterstäben gibt es Space Beer zu kaufen. Die Bedienung trägt an ihrer Schirmmütze eine Antenne, die man herausziehen kann. Der Kühlschrank strahlt durch die halbgeöffnete Tür ein gespenstisches Licht aus. Das grüne Licht ballt sich zusammen, um eine Form anzunehmen, die menschliche Intelligenz imitieren könnte. Leider wurde die Tür vorzeitig geschlossen, so daß dem beinahe schon menschlichen Wesen vorzeitig der Schwanz abgeklemmt wurde. Die Füße leben aber weiter und hüpfen auf und ab, kugelrund wie Pflummibälle. Beim Zusehen bekommt man Appetit auf Pudding. Und tatsächlich quillt eine cremige Puddingmasse durch den Strohhalm, der viel zu lang ist. Im Mund prickelt es angenehm wie nach Brausepulver. Die Tür öffnet sich und eine Discogruppe betritt die Bühne. Sie unterhält sich vor ihrem Auftritt stundenlang über die kosmische Hintergrundstrahlung. Dadurch entsteht eine allgemeine Ungeduld, die sich Luft verschafft.
Die allgemeine Ungeduld, deren weibliches Geschlecht man sofort deutlich erkennen konnte, beschwert sich über die Rüstungspolitik, deren phallische Maschinen ihr gehörig auf den Wecker gehen. Sie kann Typen nicht leiden, die ihrem Wecker etwas antun. Wie zur Bestätigung hört man im Hintergrund einen Wecker rasseln. Alle Maschinen, die das Pentagon über die Jahre hatte ansammeln können, wechseln das Lager und schließen sich der allgemeinen Ungeduld an. Das Mädchen trägt Pelzstiefel und mit den Federbüschen, die sie in ihren Händen hält, wedelt sie aufgeregt herum. Die Menge jubelt ihr zu. Es ist Sportunterricht. Die athletischen Körper bewegen sich im Takt der Maschinen. "Higher! Higher!" Da das Feindbild kürzlich in ein tiefes Loch gefallen war, schießen die Kanonen, Pistolen und Messer, die Langstreckenbomber und Flugabwehrraketen wild durcheinander. Inmitten des infernalischen Maschinenlärms hört man die Stimme des Pädagogen, der Ordnung herstellen will. Die konservativ-pädagogische Form wurde aber durch eine unmittelbare Volksabstimmung, an der auch die Hunde und Autos teilnahmen, abgeschafft und durch die revolutionär-kriminelle Methode ersetzt. Seitdem pinkeln die Hunde nicht mehr an die Bäume und Laternenpfähle, sondern gezielt an die Windschutzscheiben parkender Autos; und die Autos jagen anstelle von Kleinkindern die Hunde auf den Straßen. Die Geräusche, die bei der Auseinandersetzung entstehen, sind Zischen und Krachen. Die Geräusche wechseln in immer kleineren Abständen und eine Explosion macht die Bühne frei für die Discoband.
Die Erwartung, in jedem Moment Disco zu hören, versetzt die Menge in Ekstase. Die Instrumente sind allerdings billige Kopien, die eine japanische Guerillatruppe in großer Stückzahl verkauft. Die Geigen sind aus Plastik, die Schlaginstrumente haben die Form asiatischer Schriftzeichen und das Klavier ist eine Weiterentwicklung des auf zwei Akkorde eingeschränkten Typs. Unter diesen Umständen muß Geschwindigkeit für Qualität herhalten und gutes Aussehen für Talent. Der Hubschrauber aus Apocalypse Now taucht auf. Einen Moment lang ist im Lärm nichts zu verstehen. Nur Propellerblätter durchschneiden die Luft. Um das Ganze etwas zu entspannen, bittet der Hypnotiseur darum, seine Augen schließen zu dürfen.
Ein federndes Schlagzeug prescht die längste gerade Strecke der Welt entlang (wegen der Krümmung der Oberfläche ein versachwindend kleiner Punkt). Der Staub, der dabei aufgewirbelt wird, tanzt nach den obszönen Lauten einer Schalmei. Aus Rationalitätserwägungen heraus ist die Pfeife digitalisiert und mit einem Scanner in das Bild einer Pfeife umgewandelt worden. Es ist zwar jemand mit einem Zeigestock da, aber die Tonspuren haben die ähnlichkeit mit der Form der Instrumente verloren (der verrückte Hausmeister hatte sich die Bänder eines Abends unter den Arm geklemmt und zuhause nach seinem eigenen Geschmack zusammengestellt; der Mann hatte einen widerlichen Geschmack, nichts paßt zusammen, an jeder Stelle sind die Klebestreifen herauszuschmecken). Der Zeigestock wirbelt herum. Eine Stimme befiehlt: "Eat it!" Durch die Wiederholung wandelt sich der Inhalt der Worte in ein nachträgliches "Igitt!" Es ist alles nur eine Frage der Erziehung (die in der Revolution untergeht). Der Schalmeispieler erhebt sich von seinem Platz, er will an dem verschwenderischen Unternehmen nicht beteiligt sein. Er ging gerade rechtzeitig, um nicht von der Wassermasse, die plötzlich durch die Decke hereinbricht, getroffen zu werden.
Eine Panik bricht aus. Jeder versucht, seine eigene Haut zu retten, die bei der Garderobe abgegeben werden mußte. Die Garderobenfrau ist high (sie hängt unter der Decke) und kann die einzelnen Kleidungsstücke nicht mehr richtig zuordnen. Der Elefant trägt eine dicke Hornhaut, das Krokodil hat Schuppen und die Möwe hat ein Federkleid. Für den Bienenschwarm, der in den Boxen summt, ist aber keine Kleidung abgegeben worden. Die Klassifizierungen geraten durcheinander; die Bienen bekommen, obwohl sie aufgeregt mit ihren Flügeln schlagen, keine Federn ausgehändigt. Sie rächen sich an den Fischen, die mit der Wassermasse hereingeschwemmt wurden. Das Gehirn der Fische externalisiert sich als Blumenkohl und ihr Körper strahlt Phosphorlicht aus. Kapitän Nemo zieht vor Schreck seinen Kopf ein. Das Blubbern ist ohrenbetäubend, die aufsteigenden Blasen verdrängen die Wassermasse. Durch die Blubber- und Ploppgeräusche stimuliert, ziehen einige Hände Stiele mit offenen ovalen Enden aus den Hosentaschen hervor und verwandeln schäumendes Seifenwasser in fliegende Blasen. Die Geräusche werden auf verschiedene Kanäle verteilt. Links und rechts trennen sich voneinander. Auf der einen Seite putzt sich ein Schlangenmensch die Zähne: während die elektrische Zahnbürste in Lichtgeschwindigkeit rotiert, verändert er den Resonanzraum, indem er Luft in seine Backen bläst. Der Schlangenmensch wird zum Frosch, der aus dem Bild flutscht. Auf der anderen Seite wird Ecstasy ausgegeben; für jeden Acid-Ruf fallen zwei Pillen aus dem Automaten. Der Pillendreher schüttelt sich vor Lachen. Auf der Vorderseite des Automaten zeigt das Warnlicht akute öberlastung an. Sofort wird die überschüssige Energie der Maschine abgezapft. Industrieanlagen verwandeln sich in Zauberpaläste. Firmenlogos der Schwerindustrie kleben auf Schallplatten, T-Shirts und Verstärkeranlagen. No Way Out.

 

veröffentlicht (pseudonym unter LL Xpress) in Spuren Nr. 39 (Februar 1992)

 

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